Zur Werkgruppe "Urban Studies" von Kay Brudy
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Zur Werkgruppe Urban Studies von Kay Brudy
In Kay Brudys Werkgruppe Urban Studies geht es nicht um die Abbildung von Stadt. Es geht um ihre sedimentierte Geschichte, um ihr unordentliches Gedächtnis, um die Art, wie Orte etwas erinnern, das kein Mensch je erlebt hat – und doch alle betrifft. Seine Bilder sind keine Stadtansichten, sondern städtische Zustände. Sie lesen sich wie visuelle Palimpseste: übereinandergeschobene Zeitfenster, durchgescheuerte Architekturpartituren, codierte Ruhezonen inmitten eines akustischen Dauerlärms.
Brudy, selbst aufgewachsen zwischen provinzieller Beharrung und baselstädtischer Moderne, bewegt sich in seiner künstlerischen Praxis wie ein urbaner Archäologe, der nicht bloß gräbt, sondern das Grabenswerte erst erfindet. Die Städte, die er erkundet, sind keine Postkartenmotive, sondern Spannungsfelder. Was ihn interessiert, ist nicht der Turm, sondern die Rissbildung im Fundament. Nicht das Denkmal, sondern der Schatten, den es wirft.
Urban Studies ist somit auch eine Auseinandersetzung mit jener städtebaulichen Semiotik, die zwischen Moderne und Postindustrieller Romantik oszilliert. Brudy kartiert nicht, er komponiert aus Flächen, Fluchten und formaler Interferenz. Seine Linienführungen zitieren nicht nur architektonische Raster, sondern entlarven sie auch: als Wunsch nach Struktur in einem Kontext, der sich längst jeder Steuerung entzogen hat.
Die Wahl seiner Materialien ist entsprechend nicht rein ästhetisch motiviert, sondern konzeptuell unterfüttert. Mit Grattage, Collage, digitaler Überschichtung und gestischer Intervention erzeugt Brudy Bildräume, die sich einer linearen Lesbarkeit entziehen – zugunsten einer Schichtung von Bedeutungen, einer urbanen Stratigrafie im bildnerischen Sinn. Hier berühren sich die Prinzipien des Palimpsests und des Plans: Das, was gelöscht wurde, bleibt als Abdruck erhalten. Das, was sichtbar scheint, ist nie ganz neu.
Besonders auffällig ist dabei Brudys Umgang mit Komposition: Immer wieder stellt sich eine nahezu alchemistische Balance aus Ordnung und Zersetzung ein. DIN-Formate treffen auf erratische Perspektiven, grafische Klarheit wird unterlaufen von brüchigen Strukturen. Man hat das Gefühl, ein statisches Bild zu betrachten, das dennoch in ständiger Bewegung ist – als würde die Stadt selbst atmen.
Urban Studies ist damit auch ein künstlerisches Manifest wider die Glättung. Es widersetzt sich der neoliberalen Fassadisierung des Urbanen ebenso wie der nostalgischen Verklärung des Verfalls. Stattdessen eröffnet Brudy eine dritte Option: die produktive Störung. Die Stadt als Ort des Werdens, des Übertünchten, des Durchscheinens.
So entsteht eine Werkgruppe, die nicht nur dokumentiert, sondern interveniert – und zwar genau dort, wo wir die Stadt am wenigsten erwarten: in ihrem inneren Echo.“
Abdallah "Manday" Starcastle, 2015